Vom Ingenieur zum Standortleiter.

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Hoffnungshäuser

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Matthias und Cathrin Seitz sind Hoffnungshaus-Leiter am Standort Leonberg, Baden-Württemberg. Die Entscheidung, Leiter im integrativen Wohnkonzept zu werden, war für sie als Paar ein großer Schritt. Ein Jahr lang mussten sie von Ludwigsburg aus pendeln, da das Hoffnungshaus noch nicht bezugsfertig war. Redakteurin Julia Weiß trifft das Paar, das inzwischen eingezogen ist und ein ganz eigenes Flair in das Hoffnungshaus Leonberg mit einbringt.

HERAUSFORDERUNG HOFFNUNGSHAUS

Matthias und Cathrin Seitz haben mich zum gemeinsamen Abendessen eingeladen. Es gibt Brot und allerlei Belag, Cathrin macht einen Salat und dazu gibt es selbstgemachten Apfelsaft aus Äpfeln, die aus dem Garten von Matthias‘ Oma stammen. Die beiden lieben es, Gäste zu haben, das merkt man. Eine gute Voraussetzung für die Leitung im Hoffnungshaus, denn hier ist man eigentlich immer mit Menschen in Kontakt. Auf die Frage, ob ihnen das nicht manchmal auch zu viel wird, sind sie unterschiedlicher Meinung:

Cathrin Seitz fühlt sich von Beginn an wohl in den eigenen vier Wänden. Hier ist sie kurz nach dem Einzug zu sehen.

Matthias fängt euphorisch an zu gestikulieren, als er vom Einzug im Spätsommer 2019 spricht. „Die ersten Tage waren wie im Urlaub! Du bist rausgekommen und dann triffst du dauernd Leute wie auf einem Campingplatz. Allein der Weg von der Arbeit zu meinem Wohnhaus: Hier draußen haben vier Jungs gekickt, da habe ich 10 Minuten mitgekickt. Dann läufst du weiter, triffst den und den … Ich glaube, ich habe eine Stunde gebraucht, um die knapp 200 Meter vom Büro nach Hause zu kommen.“ Matthias lacht, seine Augen leuchten. „Natürlich gibt es auch Situationen, in denen du das nicht willst. Aber allein die letzten Tage hier – ich weiß gar nicht mehr, wie ich jemals hier wegziehen soll.“ – „Wir hatten anfangs beide Bedenken. Matthias liebt es, permanent in Gesellschaft zu sein. Ich brauche schon manchmal ein bisschen meine Ruhe“, sagt Cathrin.

BRUCH IN DER BIOGRAFIE

Zuletzt lebte das Paar in Ludwigsburg, bis sie Ende 2017 vor die Frage gestellt wurden, ob sie sich vorstellen konnten, ein Hoffnungshaus zu leiten. Cathrin Seitz war zu diesem Zeitpunkt schon bei der Stiftung angestellt und betreute als Sozialarbeiterin die Hoffnungshausbewohner. Seit dem Frühjahr 2018 arbeitete sie auch als Integrationsmanagerin für Geflüchtete in Anschlussunterbringungen der Stadt Leonberg. Matthias war als Luft- und Raumfahrtingenieur bei einem mittelständischen Unternehmen angestellt und Projektleiter für ein internationales Projekt.

Kein typischer Werdegang für einen Hoffnungshaus-Leiter: Nach seinem Studium zum Diplomingenieur für Luft- und Raumfahrttechnik in Stuttgart zog es den gebürtigen Schwaben u.a. für ein Praktikum bei der NASA nach Kalifornien. Dort vertiefte Matthias seinen Schwerpunkt der Strömungslehre und kam für die Diplomarbeit nach Backnang, Baden-Württemberg, zurück. In Süddeutschland fing er dann erst an, in der Batteriekühlung für E-Mobilität zu arbeiten, und wechselte dann in den Bereich Vorentwicklung Klimawärmeübertrager.

Es klingt wie ein anderes Leben, wenn er davon berichtet. Matthias‘ Augen glänzen, man spürt, dass die Arbeit ihm wirklich Spaß gemacht hat. „Wenn ich so darüber rede, wird mir erst wieder bewusst, wo ich herkomme. Das ist amüsant, denn das vergisst du komplett, wenn du hier im Hoffnungshaus bist.“

KEINE ZWEIFEL MEHR

Was war der ausschlaggebende Punkt, sich letztendlich gegen den Ingenieursberuf und für den des Sozialarbeiters zu entscheiden? Cathrin und Matthias sind sich einig: „Wäre die Anfrage nicht von außen gekommen, dann hätten wir es nicht gemacht.“ „Die Initialzündung war: Da gibt es Leute, die trauen dir diesen Job zu! Die haben dich nur an ein paar Bewohnerabenden im Hoffnungshaus erlebt, aber die vertrauen darauf, dass du es draufhast, mit Menschen zu arbeiten.“ Matthias strahlt.

„Wie würden wir darüber denken, wenn wir 70 oder 80 Jahre alt sind und auf unser Leben zurückblicken? Das war auch eine Frage, die wir uns gestellt haben. Das hat uns sehr dabei geholfen, dass Matthias sich entschieden hat, von einem sehr sicheren und gut bezahlten Job wegzugehen“, erinnert sich Cathrin. „Wir hatten ein bequemes Leben in Ludwigsburg, aber was macht langfristig Sinn? Welche Geschichten würden wir uns erzählen? Wie unterschiedlich würde unser Leben verlaufen, wenn wir diesen Schritt machen oder nicht?“ „Wir waren uns zu 100 Prozent sicher, dass wir es bereuen würden, wenn wir es nicht machen würden“, stimmt Matthias ihr zu.

„Mein Traum ist es, die Grundsteine zu legen für ein gutes Leben.“ – Hoffnungshausleiter Matthias Seitz

Für Matthias sind es vor allem die Kinder und Biografien, die er mitprägen kann: „Wenn du die Kinder hier reden hörst, kannst du nicht sagen, welches Kind woher kommt. Mein Traum ist es, die Grundsteine zu legen für ein gutes Leben. Manche Eltern haben in ihrem Leben alles verloren, mussten fliehen und haben sehr viel geopfert. Aber ihre Kinder haben alle Chancen in einem friedlichen Land, wie wir es haben. Mein Traum ist: Ich sitze mit 70 Jahren im Sessel, schaue die Tagesschau und dann ist die Sprecherin ein Kind von uns, mit dem ich im Garten gekickt habe.“

LANGSAMER START

Seit September 2018 sind Cathrin und Matthias Seitz nun schon Hoffnungshausleiter, aber erst ein gutes Jahr später konnten sie ihre neue Wohnung in der Heinrich-Längerer-Straße beziehen. „Das war eine Herausforderung, fast ein Jahr lang zu pendeln“, bemerkt Cathrin. Dazu kommt, dass sie als Paar noch relativ frisch zusammen sind. Auf einer christlichen Freizeit über den Jahreswechsel 2015/2016 lernten sie sich kennen, ein Jahr später schon läuteten die Hochzeitsglocken.

Matthias und Cathrin Seitz kurz nach ihrem Einzug ins Hoffnungshaus Leonberg in Spätsommer 2019.

„Wir haben eigentlich gesagt: Die ersten zwei, drei Jahre brauchen wir als Paar für uns. Und dann wurden wir schon nach sechs Monaten angefragt, ob wir eine Hoffnungshausleitung übernehmen – top Timing!“, lacht Matthias. Aber bis heute haben sie die Entscheidung nicht bereut. Ihre Beziehung zueinander ist dadurch nur stärker geworden. Die Gemeinschaft mit den Hausbewohnern, kleine Aufmerksamkeiten zwischendurch, interkulturelle Abendessen, das Spielen mit den Kindern … Es gibt viel, dass sie in ihrem neuen Leben nicht mehr missen wollen. Deswegen fühlt sich die Entscheidung des Wechsels von ihrem „alten“ Leben zu ihrem “neuen” richtig an.

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