Hoffnungsträger in Brasilien & Kolumbien – ein Reisebericht

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Resozialisierung

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Im Januar 2024 machte sich Helmut Roßkopf gemeinsam mit weiteren Reisenden auf nach Südamerika, um dort die Arbeit von Hoffnungsträger und deren Partnerorganisationen kennenzulernen. Die einzigartigen Begegnungen und Eindrücke hallen noch immer nach.

Es begann alles mit der Charitygala der Hoffnungsträger Stiftung im November 2023 in Stuttgart. Im Rahmen einer stillen Versteigerung gab es die Möglichkeit sich an der Vergabe einer Reise mit Tobias Merckle nach Brasilien und Kolumbien zu beteiligen. Das war für mich die Möglichkeit, meinen lang gehegten Wunsch umzusetzen und die Arbeit der Hoffnungsträger in Kolumbien kennenzulernen. Zu meiner großen Freude hat es geklappt.
Zu viert sind wir in der letzten Januarwoche nach Belo Horizonte in Brasilien aufgebrochen. Dort wollten wir die APAC-Gefängnisse kennenlernen.

APAC-Einrichtungen sind Gefängnisse, in denen Inhaftierte nicht nur die Strafe absitzen, sondern auch die Möglichkeit bekommen an ihrer Lebensgeschichte zu arbeiten, sodass eine Lebensveränderung geschieht. Das Ziel ist die Versöhnung mit sich selbst, mit der Familie und, wenn möglich, auch mit den Opfern.

Wir konnten erleben, dass das nicht nur für Einzelne funktioniert, sondern auch im großen Maßstab der APAC-Gefängnisse. In einem APAC-Gefängnis gibt es drei Gruppen. Den geschlossenen Vollzug, den halboffenen Vollzug mit Freigang und Arbeit innerhalb des Gefängnisses sowie den offenen Vollzug, in dem die sogenannten Recuperandos auf Bewährung außerhalb des Gefängnisses arbeiten und in der Nacht zurück ins Gefängnis kommen.
Die Häftlinge verwalten das Gefängnis weitgehend selbst und arbeiten in allen Bereichen innerhalb des Gefängnisses mit. Das bedeutet, dass Kosten gespart werden und der Betrieb eines APAC-Gefängnisses nur ein Drittel im Vergleich zu einem staatlichen Gefängnis kostet. Auch der Bau ist wesentlich günstiger, da weitgehend auf die Sicherheitseinrichtungen verzichtet werden kann.

Die Rückfallquote liegt bei 13 %, im normalen Strafvollzug sind es über 80%.

Die brasilianische Tochterorganisation von Prison Fellowship International (PFI), FBAC, betreut bis jetzt 69 solcher Gefängnisse in Brasilien. Weitere 59 sind in der Entstehung. Sie sind sehr gut organisiert und bieten für Interessenten Schulungen an, um dieses Konzept kennenzulernen und umzusetzen.

Besonders beeindruckt hat mich, dass alle Gefangenen Namensschilder haben und keine Häftlingsuniform tragen müssen, um ihre Identität zu achten und ihr Selbstwertgefühl zu steigern. Mich hat die Arbeit in den APAC-Gefängnissen sehr beeindruckt, handelt es sich hierbei um einen humanen Strafvollzug mit einer wesentlich höheren Erfolgswahrscheinlichkeit für eine gelingende Resozialisierung nach der Haftzeit.

Die Reise hat uns nach 6-stündigem Flug über Panama nach Medellín in Kolumbien geführt. Medellín hat durch das Drogenkartell von Pablo Escobar berüchtigte Berühmtheit erlangt. Diese extremen Zeiten sind vorbei und Medellín hat sich gewandelt. Aber natürlich sind Armut, Kriminalität und Drogen nicht verschwunden. Wir hatten die Möglichkeit ein Armutsviertel (die Barria) zu besuchen. Hier haben viele Leute keine Arbeit und driften in die Kriminalität ab. Die Ursachen und die Misere konnten wir in allen unseren Gesprächen hören und erleben. Prison Fellowship International hat eine Vielzahl von Programmen entwickelt, um Opfern und Tätern zu helfen.

Da ist beispielsweise das Patenschaftsprogramm, das Kinder von Strafgefangenen mit ihren Müttern unterstützt.
Es werden Microdarlehen ausgereicht, die helfen, eine Existenz aufzubauen und nicht der Perspektivlosigkeit ausgeliefert zu sein. Wir haben eine Frau besucht, die sich in ihrem Haus ein Nagelstudio eingerichtet hat. Sie hat 200 € bekommen. Diesen Betrag bezahlt sie in kleinen Raten zurück.

Nicole Mahr, die ebenfalls mit Hoffnungsträger und Helmut Roßkopf auf der Reise dabei war, ist noch immer sehr begeistert vom Treffen der Kinder aus dem Patenkind Programm:

Mit Spannung betraten wir einen großen Kreis, in dem etwa 40 Kinder, teilweise von ihren Müttern begleitet, versammelt waren. Ein Mitarbeiter der Partnerorganisation Prison Fellowship Colombia begrüßte uns herzlich und die erwartungsvollen Blicke der Kinder ruhten auf uns. Als wir uns vorstellten, stimmten alle Kinder spontan ein Geburtstagslied an, als sie erfuhren, dass eines unserer Gruppenmitglieder Geburtstag hatte. Es wurde gesungen, gratuliert und umarmt! Ein unglaublich berührender Moment, geprägt von einer Herzlichkeit, die uns von allen Seiten entgegenströmte.
Im Anschluss folgte der offizielle Teil, bei dem ein Mitarbeiter die geplanten Aktivitäten vorstellte. Gemeinsam mit den Kindern haben wir gebetet und gesungen. Unsere Übersetzerin Anna war stets an unserer Seite, um sicherzustellen, dass wir alles verstanden.
Ein Mitarbeiter kündigte dann die nächste gemeinsame Aktivität an: Jeder sollte aufschreiben, wofür er dankbar ist. Die Kinder griffen zu Stift und Papier und waren fleißig am Arbeiten. Die Blätter wurden in der Mitte des Kreises verteilt, und eine Mitarbeiterin las gemeinsam mit den Kindern vor: „Wir sind dankbar für unsere Familie!“ „Wofür sind wir noch dankbar? Für unsere Gesundheit! Wir sind dankbar für unsere Körper.“ Es war bewegend zu sehen, wie begeistert und konzentriert die Kinder dabei waren.
Nach dieser Aktivität wurden Snacks und Getränke gereicht, und wir halfen dabei, sie zu verteilen. Dabei kamen wir mit einigen Kindern und ihren Begleitern ins Gespräch. Sie erzählten uns ihre Geschichten, geprägt von Armut, Gewalt und dem Druck der Bandenstruktur in Kolumbien. Durch die Patenschaften war es ihnen möglich, weiter zur Schule zu gehen, regelmäßige Mahlzeiten, ärztliche Untersuchungen und regelmäßige Besuche von Sozialarbeitern und Ehrenamtlichen der Partnerorganisation von Hoffnungsträger zu erhalten.

Der Abschied fiel uns allen schwer. Die Begegnung mit den Kindern, das Interesse an uns, ihre aktive Teilnahme, die Herzlichkeit und Dankbarkeit, all das hat sich tief in mein Herz eingeprägt. Ich bin unendlich dankbar, dass ich diese Kinder kennenlernen durfte.

Helmut Roßkopf führt fort:

Ein Aspekt, der in vielen Programmen der kolumbianischen Partnerorganisation umgesetzt wird, ist die sogenannte opferorientierte Justiz (restorative justice).
Hier geht es darum, dass die Täter ihre Taten auch aus der Perspektive ihrer Opfer sehen, und sich selbst hinterfragen. Ziel ist, die Verantwortung für die Tat zu übernehmen und im Opfer-Täter-Gespräch die Opfer um Vergebung zu bitten. Das ist ein langer und schmerzhafter Weg. Bei einem Besuch im Jugendgefängnis konnten wir in einem Gespräch mit drei Jugendlichen erleben, dass sie an sich arbeiten und sich auf ein Leben nach der Haftstrafe vorbereiten. Einer von ihnen hat seinen Stiefvater umgebracht hat, da dieser seine Mutter geschlagen hatte. Er wollte seine Mutter beschützen. Doch jetzt hat diese ihn verstoßen, weil ihr das Jugendamt die Tochter weggenommen hat. Der junge Mann hat keine Familie mehr und weiß nicht, wo er hinsoll, wenn er entlassen wird.

Auch ein Besuch im berüchtigten Itagüi Gefängnis, das ursprünglich für die Drogenbosse des Medellín Kartells gebaut wurde, stand auf unserem Programm. Wir wussten nicht genau, wen wir dort treffen würden. Nach der Anmeldung, der Leibesvisitation, der Abgabe unserer Fingerabdrücke und dem Durchgang von verschiedenen Schleusen betraten wir einen Raum mit 15 Männern. Vor uns saßen die Gangsterbosse der Barrias. Für unsere Begleiter von Prison Fellowship Kolumbien waren das keine Unbekannten. Sie sitzen bereits 15 Jahre im Gefängnis und nehmen am Programm opferorientierte Justiz teil. Das beinhaltet in diesem Fall auch Gespräche mit den Vertretern der Region Medellín. Diese Gespräche sollen dazu beitragen die Ursachen der Kriminalität zu beseitigen, sodass das Morden, die Schutzgelderpressung und der Drogenhandel aufhören. Noch halten diese Männer die Fäden in den Bezirken aus dem Gefängnis heraus in der Hand. Eine Herkulesaufgabe hier eine Lösung zu finden.

Im Büro von Prison Fellowship in Medellín hatten wir eine eher zufällige Begegnung. Wir kamen in einen Besprechungsraum, in dem schon Leute saßen. Es wurde sich gegenseitig vorgestellt. Mit am Tisch saß auch Pastor Elliot. Nach einiger Zeit kam heraus, dass er in seinem früheren Leben der Killer von Pablo Escobar war. Kann man sich gar nicht vorstellen! Er saß 20 Jahre im Gefängnis und hat sein Leben durch die Arbeit von Prison Fellowship im Gefängnis geändert und eine Bekehrung wie Saulus in der Bibel erlebt. Jetzt verkündet er das Evangelium im Gefängnis. Viele hält er durch sein Beispiel davon ab erst gar nicht kriminell zu werden. Wenn kriminelle Bandenmitglieder sich Gott zuwenden, wird das in diesem Milieu akzeptiert, aussteigen geht sonst gar nicht. Aber nur wenn sie dann nicht rückfällig werden. In diesen Strukturen gibt es sonst keine Gnade.

Im Norden des Landes, in Monteria, haben wir an zwei Versöhnungsritualen zwischen ehemaligen Rebellen, Milizen und der leidtragenden Bevölkerung teilgenommen. Diese Menschen sind aus der Zeit des Bürgerkrieges traumatisiert. Es sind viele Schandtaten geschehen. Auch hier wird das Programm opferorientierte Justiz angewendet. Alle Gruppen durchlaufen dieses Programm. Wenn die beiden Seiten in der Lage sind sich auszudrücken und ihre Schuld, die sie begangen haben, erkennen, gibt es ein gemeinsames Treffen, in dem sich die Täter bei den Opfern entschuldigen. Die beiden Veranstaltungen liefen unterschiedlich ab. Bei der ersten Veranstaltung, bei der die Taten besonders schwer wogen, hat man gemerkt, wie schwer sich die Täter bei der Entschuldigung taten. Bei der zweiten Veranstaltung war der Prozess schon länger im Gange und dadurch tiefgreifender.

Ich möchte an dieser Stelle Tobias Merckle und dem ganzen Team von Prison Fellowship Kolumbien insbesondere Pastor Lacides und seiner Familie, bei der wir wohnen durften, danken für die hervorragende und gesegnete Arbeit, die sie tun. Dieser persönliche Einsatz, den sie alle für die Menschen am Rande der Gesellschaft tun, bringt viel Frucht. Was kann es Besseres geben, als wenn Menschen Gott begegnen und mit sich selbst und durch die Entschuldigung mit ihrem Umfeld ins Reine kommen.

Mich selbst haben diese Tage und was ich gesehen habe, nachhaltig beeindruckt. Meine Beobachtung bei mir selbst und andern ist doch, dass ein Straftäter seine Strafe verdient hat. Die soll er mal absitzen! Was ich hier erlebt und beschrieben habe, Versöhnung mit Gott und den Menschen, ist doch ein zutiefst christlicher Ansatz in einem Umfeld, das in meinem Leben weit weg und fremd ist. Diese praktische Umsetzung habe ich bisher so nicht gesehen. Danke auch der Hoffnungsträger Stiftung für alles, was ihr möglich macht.
Gott segne Euch alle.

Ich fahre dankbar und nachdenklich nachhause.

Euer
Bruder Helmut

Bruder Helmut lebt seit über 25 Jahren in der Kommunität des Klosters Volkenroda in Thüringen. Er ist Gründer von Rosskopf + Partner. Das internationale tätige Unternehmen hat er vor drei Jahren im Rahmen einer Nachfolgeregelung an die Hoffnungsträger Stiftung übertragen.

WIE DU HELFEN KANNST.

Die Hoffnungsträger Stiftung setzt sich aktiv für die Friedensförderung und Resozialisierung in verschiedenen Ländern ein, so auch in Kolumbien. Wir freuen uns über eine Spende! Dadurch können scheinbar hoffnungslose Menschen zu Hoffnungsträgern in ihrem Umfeld werden.

Männer am Wendepunkt: Einst Täter, heute Hoffnungsträger.

Tobias Tagebuch: Besuch in Palermo.

Einmal Opfer, immer Opfer?