Ein geschützter Raum für Frauen in Esslingen

Am Standort Esslingen haben Lauranne und Joachim Lukas im Herbst 2018 ihren Dienst als Hoffnungshausleiter angetreten. Sie sind voller Motivation und Ideen für den Standort – ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt darin, die Gemeinschaft mehr zusammen zu bringen. Zum Beispiel bei dem ersten Frauenabend am Standort Esslingen.
Das Haus am Rohrackerweg in Esslingen steht erhaben im schummrigen Licht. Draußen ist es klirrend kalt, aber das gelbe Licht verleiht dem Haus einen heimeligen Anschein. Ein Ort des Willkommens für die Frauen aus den Hoffnungshäusern. In den vier Häusern in Esslingen sind es meistens junge Männer, die den Alltag und die Atmosphäre prägen. Heute gibt es einen Raum nur für Frauen – einen „Safe Space“ in der Wohnung von Hoffnungshausleiterin Lauranne Lukas.

EIN ABEND VON FRAUEN FÜR FRAUEN
Ein Abend, gestaltet von Frauen für Frauen mit der Absicht, einen freien Austausch zu gewährleisten. Über die Schwierigkeiten, die der Alltag in Deutschland mit sich bringt. Über Themen, über die man sonst nicht frei reden kann. Ein Abend ohne Angst. Denn viele der Frauen, die heute kommen, haben viel Leid erfahren.
Organisiert haben den Abend Anthea Roth, Sozialarbeiterin des CVJM (Partner von Hoffnungsträger im Hoffungshaus Esslingen), Lauranne Lukas, die neue Hoffnungshausleiterin am Standort Esslingen, und Michal Stobwasser, Bewohnerin des Hoffnungshauses im Rohrackerweg. Lauranne, Michal und Anthea sind voller Vorfreude: „Hoffentlich kommt überhaupt jemand“, sagt Michal. „Und falls nicht, trinken wir die ganzen Cocktails einfach selber“, lacht Lauranne.
Die drei haben sich viele Gedanken und Mühe gemacht. Es gibt kleine Schnittchen mit Frischkäse und Putenbrust. Zu trinken gibt es nicht-alkoholische Cocktails: Virgin Ipanema oder Virgin Piña Colada. Beide Drinks werden jeweils liebevoll mit Ananasstückchen oder einer Scheibe Limette dekoriert, die Strohhalme extra eingekürzt. Alles sieht sehr professionell aus.
JEDE BRINGT IHRE INDIVIDUELLE GESCHICHTE MIT
Ab 18 Uhr trudeln die Gästinnen ein. Heute herrscht männerfreie Zone. Aus allen vier Hoffnungshäusern in Esslingen kommen sie. Und noch kennen sich nicht alle gegenseitig, denn der Austausch zwischen den vier Häusern lief bislang recht schleppend. Von der Flandernstraße kommen Annemarie Seidel (eine deutsche Bewohnerin des Hoffnungshauses) mit ihrem knapp einmonatigen Baby und eine Syrerin. Von den anderen Häusern an der Brühlstraße kommen zwei Frauen aus Somalia, eine Nigerianerin und eine syrische Mutter mit ihren Kindern.

Die Cocktails und Häppchen kommen gut an. Man begrüßt sich, stellt sich vor, nimmt einen Sitzplatz ein. Anfangs sind die Frauen ein wenig verhalten, schüchtern. Dann bricht Michal das Eis. Sie breitet lauter Alltagsgegenstände auf dem Tisch in der Mitte aus. Da liegen Ohrringe, Postkarten, eine Einwegkamera, ein Duplo-Riegel.
Und Michal ergreift das Wort: „Wir haben ein kleines Spiel zum Kennenlernen vorbereitet. Ich bitte euch alle, einen Gegenstand zu nehmen, der euch anspricht.“ Als alle sich entschieden haben, geht es weiter: „Jetzt bitte ich euch, dass wir uns reihum vorstellen. Und zwar mit Name, Herkunft, wie lange wir schon im Hoffnungshaus leben und mit einer Geschichte, die uns einfällt zum „Ding“, das wir gewählt haben.“
DURCH GEGENSTÄNDE VON SICH ERZÄHLEN
Die Gegenstände offenbaren Geschichten hinter den Menschen: die Frau, die nahe am Strand gewohnt hat und seit ihrer Ankunft in Deutschland das Meer nicht mehr gesehen hat. Diejenige, die Fotos und Fotografie liebt, aber nie die Möglichkeit hatte, diese Passion auszuleben. Eine, die seit der Geburt ihrer Kinder kaum Zeit für sich findet.
Solidarität, Mitgefühl, Sympathie. Man öffnet sich und fängt an, einander mehr zu vertrauen. Nach dem Kennenlernen steht die Frage im Raum, ob die vorbereiteten Cake Pops gemacht werden sollen oder ein weiteres Spiel, bei dem geredet wird. Alle bevorzugen, sich weiter zu unterhalten und besser kennenzulernen.
Es wird gelacht, aber es gibt auch ernste Momente. Im Anschluss werden die Cake Pops gemacht, von denen besonders die Kinder begeistert sind. Kleine, runde Küchlein werden auf Schaschlik-Spieße gestochen und in wahlweise dunkle oder helle Schokolade getunkt. Nach dem Abtropfen können sie mit allerlei Toppings bestreut werden: Kokosraspeln, Schokostreusel oder Zuckerkügelchen. Heraus kommen bunte Kuchenlollis.
Als sich nach drei Stunden alle voneinander verabschieden, schwebt eine offene Dankbarkeit im Raum. Es riecht nach Kuchen und Süßigkeiten, der Tisch ist voller Schokolade und Streusel. Aus manch einer Handtasche schauen bunte Cake Pops für die Familie heraus. Alle wissen: Hier gibt es andere Frauen, die sich für sie interessieren und zu denen sie kommen können. Beim nächsten Mal wird eine andere Frau einladen und kann ihre Ideen einbringen. Denn ein nächstes Mal wird es geben, das ist gewiss.
Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte werden die Namen einiger Personen nicht genannt.