DAMIT AUS HOFFNUNGSLOSEN HOFFNUNGSTRÄGER WERDEN

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Stiftung

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Wir haben mit dem Hoffnungsträger Stifter über seinen Werdegang, die Hoffnungsträger Stiftung und die Transformation von Hoffnungslosen zu Hoffnungsträgern gesprochen.

Du lebst in einem „Gefängnis“. Kannst du das erklären?

Man könnte sagen, ich habe „lebenslänglich“. Ich wohne im Seehaus Leonberg, einer Alternative zum herkömmlichen Jugendstrafvollzug: Nämlich Jugendstrafvollzug in freien Formen. Die Vision dafür habe ich 1990 bekommen. Nach dem Abitur habe ich eine Art soziales Jahr in den USA gemacht und dabei mit Drogenabhängigen gearbeitet. Einer davon musste zurück ins Gefängnis, ich habe ihn dort besucht und habe gesehen, was Gefängnis wirklich bedeutet. Viele Straffällige zusammenzusperren und sie dem Einfluss der negativen Insassen-Subkultur zu überlassen, kann keine Lösung sein – nicht für die Insassen, aber auch nicht für die Gesellschaft. Nach diesem Erlebnis habe ich mich entschieden, eine Alternative zum Gefängnis zu schaffen. Mir wurde klar, dass dies meine Berufung fürs Leben ist. Nach dem Sozialpädagogik-Studium und der Arbeit für Prison Fellowship International in der Schweiz und den USA habe ich das Seehaus Leonberg als Alternative zum Strafvollzug gegründet – dreizehn Jahre nach der Vision.

Was läuft in vielen Rechtssystemen falsch und welchen anderen Ansatz fördert Hoffnungsträger?

Wenn eine Straftat passiert, ist es in den meisten Rechts-systemen so, dass die Tat vor Gericht verhandelt wird: Täter gegen Staat. Der Täter hat Recht außer Kraft gesetzt und deswegen wird er dafür verurteilt. Die Opferperspektive wird oft ganz ausgeblendet. Das Opfer kann in Deutschland als Nebenkläger auftreten, hat bestimmte Rechte, aber eigentlich geht es nicht um das Opfer. An sich ist das falsch. Das Opfer müsste im Mittelpunkt stehen, die Opferperspektive und auch Wiedergutmachung. Und genau das will „Restorative Justice”. Bei der „wiedergutmachenden Gerechtigkeit” kommen Opfer, Täter und Gesellschaft zusammen, ihre jeweiligen Bedürfnisse werden berücksichtigt und Möglichkeiten der Wiedergutmachung für Opfer und Gesellschaft werden angestrebt.

Wie wirkt sich der Ansatz „Restorative Justice“ in den Programmen von Hoffnungsträger aus?

Im Seehaus wollen wir unseren „Jungs“ auch die Opferperspektive vermitteln. Sie durchlaufen ein Opferempathieprogramm und können sich beim Programm „Opfer und Täter im Gespräch“ mit Opfern von Straftaten treffen und austauschen. Dadurch erkennen sie, was sie ihrem eigenen Opfer angetan haben. Viele schreiben dann Entschuldigungsbriefe und wollen sich mit ihren direkten Opfern treffen und Wiedergutmachung leisten. Gleichzeitig leisten sie gemeinnützige Arbeit, um auch der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Mit der Hoffnungsträger Stiftung unterstützen wir auch Partnerorganisationen, zum Beispiel in Kolumbien und Ruanda, die das Programm „Opfer und Täter im Gespräch“ und andere Versöhnungsprogramme zwischen Opfern und Tätern durchführen.

Wieso birgt diese Herangehensweise mehr Potenzial als der herkömmliche Weg der Rechtsprechung?

Für viele Opfer ist es sehr hilfreich, dass sie verstehen: Was geht im Täter vor? Warum macht er das überhaupt? Und zum anderen können sie ihre Leidensgeschichte loswerden. Viele haben niemanden, mit dem sie darüber sprechen können. In dem Programm „Opfer und Täter im Gespräch“ können sie die Täter mit dem Leid, das sie ihnen angetan haben, konfrontieren. Das ist oft der Anfang eines Heilungsprozesses.

Für die Täter auf der anderen Seite ist es oft zum ersten Mal, dass sie sich überhaupt bewusst machen, was eine Straftat im Leben vom Opfer bedeutet. Dass ein Handtaschenraub oder ein Einbruch Leben auch dauerhaft zerstören können, dass ein Opfer jahrelang oder sogar ein Leben lang unter einer Straftat leidet, das machen die Täter sich nicht bewusst. Für sie ist die Straftat in zehn Minuten vorbei und dann auch vergessen, aber für das Opfer fängt da die Leidensgeschichte erst an. Wenn man aber die Geschichten von sechs oder acht Opfern hört, geht das unter die Haut. Es verändert das Denken und so kann Empathie entstehen. Die Täter gehen mit einer anderen Einsicht und einem Verantwortungsgefühl heraus und begehen dann hoffentlich keine Straftaten mehr.

„Viele Straffällige zusammenzusperren und sie dem Einfluss der negativen Insassen-Subkultur zu überlassen, kann keine Lösung sein – nicht für die Insassen, aber auch nicht für die Gesellschaft.“

Regelmäßig ist Hoffnungsträger-Stifter Tobias Merckle persönlich vor Ort, wie hier in Kolumbien.
Warum engagiert sich Hoffnungsträger in Kolumbien und was für Programme gibt es dort?

In Kolumbien herrschte seit über 50 Jahre Krieg. Es gibt verschiedene Guerilla-Gruppen, Paramilitärs, Drogenkartelle, Regierung, Militär und Polizei, die sich bekämpft haben — alles auf dem Rücken der Zivilbevölkerung. Trotz offiziellem Friedensvertrag kommt es noch immer zu Auseinandersetzungen. Unser Partner Prison Fellowship Colombia ist seit 30 Jahren in den Gefängnissen Kolumbiens tätig und hat so viel Vertrauen zu den verschiedenen Konfliktparteien aufgebaut. So gibt es zum Beispiel das APAC-Programm, Association for Protection and Assistance to the Convicted, eine Methode, die ursprünglich in Brasilien entwickelt wurde. Dort betreibt Prison Fellowship Gefängnisse – ganz ohne Wachpersonal. Die Gefangenen übernehmen die Verantwortung. APAC steht für eine positive Gruppenkultur im Gefängnis, wo man sich gegenseitig hilft, eine Kultur ohne Gewalt, ohne Drogen. Orientiert an einem Modell in Ruanda haben wir in Kolumbien außerdem die „Dörfer der Versöhnung” aufgebaut. Die Idee ist, dass ehemalige Guerillas und Paramilitärs und Opfer vom Konflikt an den Gesprächen „Opfer und Täter im Gespräch” teilnehmen und dann gemeinsam die zerstörte Infrastruktur in ihren Dörfern wiederaufbauen: Schulen, Kirchen, Brücken und Sportplätze. Wenn man gemeinsam für eine bessere Zukunft arbeitet, kann Versöhnung geschehen. Es ist toll zu sehen, wie Menschen aufeinander zugehen und wie Versöhnung stattfinden kann.

Wie können wir uns den „Jugendstrafvollzug in freier Form“ im Seehaus in Deutschland vorstellen?

Junge Gefangene können sich aus dem Gefängnis heraus bei uns bewerben. Sie bleiben dann ihre restliche Haftzeit im Seehaus, im Normalfall ein bis zwei Jahre. Die meisten von ihnen kennen kein „funktionierendes“ Familienleben. Daher nehmen wir sie in Familien auf. Immer bis zu sieben junge Männer wohnen mit Hauseltern (und deren eigenen Kindern) zusammen. So können sie Familienleben erfahren und Liebe und Geborgenheit erleben – oft zum ersten Mal in ihrem Leben. Gleichzeitig erwartet sie ein durchstrukturierter und harter Arbeitsalltag, angefangen mit Frühsport um 5:45 Uhr. Hausputz, Schule, Arbeit, Berufsausbildung, Sport, gemeinnützige Arbeit, Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von Straftaten für die Opfer, Wiedergutmachung, soziales Training und die Vermittlung christlicher Werte und Normen sind fester Bestandteil des Konzepts.

Warum hast du zusätzlich zum Seehaus e.V. die Hoffnungsträger Stiftung gegründet?

Durch meinen Familienhintergrund bin ich sehr privilegiert und habe mehr, als ich brauche. So kann ich mit anderen teilen. Eigentum verpflichtet. Diese Verantwortung kann bedeuten, dass man in Unternehmen investiert und so Mitarbeitern gute und sichere Arbeitsplätze schafft (die beste Art der Prävention), oder man kann durch soziale Projekte in Menschen investieren und damit auch einen gesellschaftlichen Wandel erreichen. Mit der Hoffnungsträger Stiftung wollen wir in Menschen investieren, um ihnen eine Perspektive und Zukunft zu geben. Eine Investition, die sich lohnt!

Du hättest auch andere Schwerpunkte für die Stiftung wählen können – Wissenschaft, Kunst…. Warum hast du „Hoffnungslose“ ausgewählt?

Durch meine Eltern habe ich viel Liebe, Wertschätzung und eine gute Erziehung genossen, Werte vermittelt bekommen ebenso wie eine Hoffnung auf eine gute Zukunft. Ich habe aber viele Menschen kennengelernt, die all dies nie erfahren haben, keine Zukunftsperspektive haben und sich selber als hoffnungslos erleben – und auch von der Gesellschaft als Hoffnungslose angesehen werden. Sie sind Menschen und haben eine hoffnungsvolle Zukunft verdient. Sie haben Gaben und Fähigkeiten. Mit einiger Hilfe – immer im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe – können sie Hoffnung schöpfen. Sie können ihr Leben selbst in die Hand nehmen und dann vielleicht sogar anderen helfen, die hoffnungslos sind. „Hoffnungslose“ können zu Hoffnungsträgern werden.

Hast du ein Beispiel?

Reny George hat ein Leben mit Drogen und Kriminalität gelebt. Es hat darin geendet, dass er bei einem Raubüberfall ein älteres Ehepaar umgebracht hat, um an Geld für seine Sucht zu kommen. Während der Zeit im Gefängnis hat er Gott als eine Quelle der Vergebung und Hoffnung kennengelernt. Er hat sein Leben radikal verändert. Er hat diese Hoffnung mit anderen Gefangenen geteilt und ihr Leben hat sich verändert. Nach 15 Jahren wurde er begnadigt. Zusammen mit seiner Frau ist er weiter in Gefängnisse gegangen, um diese Hoffnung weiterzugeben. Sie haben dann das „Precious Children Home“ für Kinder von Gefangenen gegründet. Seit der Gründung haben sie hunderte von Kindern vor einem Leben mit Bettelei, Kriminalität und Prostitution bewahrt – und damit auch verhindert, dass sie selber einmal ins Gefängnis kommen. Der hoffnungslose und von der Gesellschaft abgeschriebene Kriminelle wurde zum Hoffnungsträger für viele andere. Wir wollen in sogenannte „Hoffnungslose“ investieren und sie zu Hoffnungsträgern machen – genauso wie Reny George.

Mit seiner Stiftung setzt sich Tobias Merckle für Menschen in Not ein.
Warum kam das Engagement für Kinder von Gefangenen hinzu?

Die Familien von Gefangenen sind durch die Inhaftierung mitbestraft – obwohl sie unschuldig sind. Wenn der Vater im Gefängnis ist – in den meisten Fällen ist es der Vater –, stehen der Rest der Familie und insbesondere die Kinder vor dem Nichts. Eine wichtige Bezugsperson fehlt, sie werden von anderen ausgegrenzt und stigmatisiert. In vielen Ländern gibt es auch keine Sozialsysteme. So stehen sie auch finanziell vor dem Nichts. Viele Kinder müssen durch betteln, Diebstahl, Drogenhandel oder Prostitution über Wasser halten. Viele von ihnen landen später selbst im Gefängnis. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, helfen wir Kindern von Gefangenen. Über unsere lokale Partnerorganisation Prison Fellowship, die im jeweiligen Land vertreten ist, unterstützen wir die Kinder und ihre Familien, damit sie genügend zu essen haben, in die Schule gehen können, medizinisch versorgt werden und an gesellschaftlichen Aktivitäten teilnehmen können. Außerdem werden sie regelmäßig besucht. Durch das alles vermitteln wir ihnen Hoffnung und echte Perspektiven für ihr Leben. Durch unser Patenschaftsprogramm kann jeder diese Kinder unterstützen und ihnen helfen, starke Hoffnungsträger zu werden.

Neben den Projekten für Strafgefangene und ihre Familien setzt sich Hoffnungsträger für Geflüchtete in Deutschland ein. Wie ist die Idee zu den „Hoffnungshäusern“ entstanden?

Im April 2013 habe ich mit einer Freundin unserer Partnerorganisation in Syrien telefoniert und sie eingeladen, zu uns zu kommen, bei uns zu wohnen und zu arbeiten, falls sie Syrien verlassen müsse. Nach dem Telefonat ist mir bewusst geworden, dass das ja alles nicht so einfach geht, und sie selbst, wenn sie es nach Deutschland schafft, nicht bei uns wohnen und schon gar nicht bei uns arbeiten kann. Ich war vorher noch nie in einer Flüchtlingsunterkunft, aber was ich davon gehört habe, wollte ich nicht für meine Freunde, wenn sie nach Deutschland kommen. Also habe ich mich auf die Suche nach Alternativen gemacht. Dabei habe ich sehr viele sehr gute Initiativen im Flüchtlingsbereich gefunden, aber kein ganzheitliches Konzept, in dem Flüchtlinge und Einheimische zusammenwohnen. Dies ist aus meiner Sicht jedoch wesentlich, da Integration nur gelingen kann, wenn es auch wirklich Kontakte, Beziehungen und Austausch im Alltag zwischen Flüchtlingen und Deutschen gibt. Daraufhin haben wir uns als Hoffnungsträger entschieden, auch operativ tätig zu werden und selber Modelleinrichtungen für integratives Wohnen aufzubauen – die Hoffnungshäuser sind entstanden.

Selbst anpacken statt nur zuschauen, lautet Tobias Merckles Devise.
Es scheint, dass du eine Vision und den Mut hast, Neues zu starten. Wo kommt dieser Unternehmergeist her?

Ich bin in einer Unternehmerfamilie aufgewachsen. Für meine Erziehung und das gute Beispiel meiner Eltern bin ich unheimlich dankbar. Beim Mittagessen drehte sich das Thema oft um Verantwortung – für die Firmen, für die Mitarbeiter, für die Gesellschaft. Mein Vater hat mit ratiopharm Generika in Deutschland eingeführt und damit den Arzneimittelmarkt umgekrempelt. Er hat auch immer wieder Firmen, die kurz vor dem Ruin standen, aufgekauft, sie auf Vordermann gebracht und zu erfolgreichen Firmen ausgebaut – und so auch viele Arbeitsplätze erhalten und geschaffen. Von dem her konnte ich den Unternehmergeist mit der Muttermilch aufsaugen und habe immer das Beispiel meiner Eltern vor Augen. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass Gott uns auch dazu berufen hat, Verantwortung in dieser Welt zu übernehmen. Er hat uns unseren Verstand, unsere Gaben, unsere Fähigkeiten und unsere Kreativität geschenkt, damit wir sie für uns und unsere Mitmenschen einsetzen.

Was erhoffst du dir von der Hoffnungsträger Stiftung?

Meine Hoffnung ist es, dass wir vielen „Hoffnungslosen” helfen können, Hoffnung zu schöpfen, Perspektiven wahrzunehmen und dann Hoffnungsträger für andere zu werden und wiederum ihr Umfeld zu verändern. Gemeinsam mit anderen können wir helfen, die Umstände zu verändern, sodass viele Menschen die Möglichkeit haben, ein Leben voller Hoffnung zu leben. Meine Hoffnung ist auch, dass Hoffnungsträger eine „Multiplikatorenstiftung” wird und sich andere potenzielle Multiplikatoren anstiften lassen, in sogenannte „Hoffnungslose“ zu investieren und unsere Projekte, oder auch andere Projekte die „Hoffnungslose“ zu Hoffnungsträgern machen, zu unterstützen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellten Axel Jeroma und Julia Weiß von Hoffnungsträger

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